Arbeitsmedizinische Vorsorge ist ein wichtiger Aspekt der Arbeitsmedizin. Sie soll arbeitsbedingte Erkrankungen verhüten und so Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesund erhalten. Gleichzeitig wird dabei die Arbeitskraft bewahrt – dadurch ist arbeitsmedizinische Vorsorge auch für Unternehmen von großer Bedeutung. Vorsorgemaßnahmen sind etwa Beratungen und Schulungen, Gesundheitsuntersuchungen sowie eine gesundheitsfreundliche Gestaltung des Arbeitsplatzes.

Betriebliche Gesundheitsvorsorge ist rechtlich ausführlich geregelt – dabei versuchen die Regelungen, allen Beteiligten mit ihren unterschiedlichen Interessen gerecht zu werden: Beschäftigten, Unternehmen und Mediziner*innen.

  • Grundlegende Vorschrift ist die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV).
  • In den vom Ausschuss für Arbeitsmedizin herausgegebenen Arbeitsmedizinischen Regeln (AMR) werden einige Anforderungen konkreter beschrieben; die AMR 2.1 etwa bestimmt Fristen für Vorsorgemaßnahmen.
  • Auch die DGUV Vorschrift 2 benennt Vorsorge ausdrücklich als Aufgabe der Arbeitsmedizin.

3 Rechtliche Modelle: Pflichtvorsorge, Angebotsvorsorge, Wunschvorsorge, Intervalle

Um die Interessen der Arbeitnehmer*innen an guter medizinischer Betreuung und die Interessen der Unternehmen an überschaubarer Belastung auszubalancieren, hat das Recht drei verschiedene Typen der Vorsorge definiert: die Pflichtvorsorge, die Angebotsvorsorge und die Wunschvorsorge. Wie die Namen andeuten, sind sie für die Beteiligten in unterschiedlichem Maß verpflichtend.

Pflichtvorsorge

Bei Tätigkeiten wie z. B. dem Umgang mit bestimmten Gefahrstoffen, bei denen das Risiko für die Gesundheit besonders hoch ist, gilt das Modell der Pflichtvorsorge. Welche Tätigkeiten das im Einzelnen sind, legt die ArbMedVV ausdrücklich fest. Das Unternehmen ist hier verpflichtet, Vorsorgemaßnahmen durchzuführen; Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind verpflichtet, an diesen Maßnahmen teilzunehmen.

Beispiele für Pflichtvorsorgen sind die Vorsorgen bei Gefährdung der Haut sowie bei Tätigkeiten mit Infektionsgefährdung bei bestimmten beruflichen Expositionen. Manchmal können auch Angebotsvorgen bei Überschreitung bestimmter beruflicher Belastungsgrenzen zur Pflichtvorsorge werden, wie beispielsweise die Vorsorge bei Lärm, wenn dieser über eine gewisse Dauer und in einer gewissen Intensität auf die Beschäftigten einwirkt.

Angebotsvorsorge

Bei einer anderen Gruppe von Tätigkeiten, die ebenfalls in der ArbMedVV aufgeführt werden, ist das Modell der Angebotsvorsorge anzuwenden. Dafür müssen Unternehmen Vorsorgemaßnahmen anbieten und deren Durchführung ermöglichen, die Teilnahme ist für die Arbeitnehmer*innen jedoch freiwillig. Die Unterbreitung des Angebots muss jedoch auch bei einer Ablehnung regelmäßig erneuert und individuell nachgehalten werden. Ein Aushang im Foyer ist dazu nicht ausreichend.

Beispiele für Angebotsvorsorgen sind die Vorsorgen bei Tätigkeiten an Bildschirmgeräten / Bildschirmarbeit oder bei Tätigkeiten mit Belastung des Muskel-Skelett-Systems.

Wunschvorsorge

In allen anderen Fällen, in denen eine Arbeit zu Gesundheitsschäden führen könnte, gilt das Prinzip der Wunschvorsorge. Hier muss die Initiative von den Beschäftigten ausgehen: Sie definieren Ihren Beratungsanlass bei den Arbeitsmediziner*innen selber. Unternehmen müssen gewährleisten, dass die Beschäftigten Zugang zur Wunschvorsorge haben.

Eine Wunschvorsorge kann dann besonders hilfreich für Beschäftigte sein, wenn Sie merken, dass Ihnen auf der Arbeit etwas zunehmend Schwierigkeiten bereitet, sie sich aber nicht trauen, deswegen mit den Vorgesetzten zu sprechen oder sie sich unsicher sind, wie man weiter verfahren sollte. Dabei können die Arbeitsmediziner*innen sowohl in Hinblick auf sinnvolle diagnostische und therapeutische Verfahren auch zum Vorgehen gegenüber dem Arbeitgeber beraten und auf Wunsch der Beschäftigten auch vermitteln.

Wiederholung der Vorsorge

Die Intervalle für Vorsorgen sind in der Arbeitsmedizinischen Regel 2.1 festgelegt. Die erste Vorsorge sollte vor Aufnahme einer Tätigkeit stattfinden, die erste Folgevorsorge nach 12 Monaten, alle weiteren Folgevorsorgen spätestens nach 36 Monaten. Spätestens bedeutet, dass die Arbeitsmediziner*innen nach individuellen Aspekten auch kürzere Fristen für eine erneute Konsultation festlegen können, wenn sie dies als sinnvoll erachten. Längere Abstände als 36 Monate sind nicht zulässig.

Die Vorsorgekartei

Unternehmen müssen die durchgeführten Vorsorgen nachhalten und dazu eine Vorsorgekartei führen, in der sie die Vorsorgebescheinigungen aller Mitarbeitenden archivieren. Die Kartei dient außerdem der Prüfung der Fristen, wann eine erneute Vorsorge bei einem Mitarbeitenden zu veranlassen ist. Aufsichtsbehörden können Einsicht in die Vorsorgekartei verlangen, um festzustellen, ob Unternehmen Ihren Verpflichtungen nachgekommen sind.

Sonderfall: Keine medizinische Vorsorge

Gib es Tätigkeiten, die in jedem Fall gesundheitlich unbedenklich sind? Die ArbMedVV schließt das nicht aus: Wenn „auf Grund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen und der getroffenen Schutzmaßnahmen … nicht mit einem Gesundheitsschaden zu rechnen“ ist, braucht keine regelmäßige arbeitsmedizinische Vorsorge stattzufinden. Der Zugang zur Wunschvorsorge ist hiervon nicht berührt.

Bewährte Praktiken: Aus „Grundsätzen“ sind „Empfehlungen“ geworden

Die Unfallversicherung stellt im deutschen System Ärztinnen und Ärzten Richtlinien zur Verfügung, die zeigen, wie Vorsorge in der Praxis umgesetzt werden soll. Diese Richtlinien waren früher als “Grundsätze für arbeitsmedizinische Untersuchungen” bekannt, nach einer Änderung 2022 heißen sie in ihrer heute geltenden Form nun “Empfehlungen für arbeitsmedizinische Beratung und Untersuchung”.

Die Bezeichnungsänderung betont zwei wichtige Gedanken: Zum einen sind diese Regeln nicht verpflichtend; es handelt sich um eine Sammlung bewährter Praktiken auf aktuellem wissenschaftlichem Stand. Die Freiheit von Mediziner*innen zu bestimmen, auf welche Weise sie ihre Verantwortung wahrnehmen, wird nicht eingeschränkt. Zum anderen wird unterstrichen, dass das Standardverfahren der Vorsorge nicht die Untersuchung, sondern die Beratung sein soll. Arbeitsmediziner*innen führen keine Reihenuntersuchungen durch, sondern behandeln jeden Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin als individuellen Fall.

Mit der Namensänderung haben sich auch die Bezeichnungen für die einzelnen Richtlinien und damit auch der Vorsorgeanlässe geändert: An die Stelle der viele Jahre gebräuchlichen fortlaufenden Nummerierung sind sprachliche Beschreibungen und Buchstabenkürzel getreten. So wurde z. B. aus „G 37“ die Vorsorge-Empfehlung bei „Tätigkeiten an Bildschirmgeräten – E TBS“.

Trennung von Vorsorge und Eignungsprüfung

Dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitsmediziner*innen und den von ihnen betreuten Beschäftigten dient auch die in der ArbMedVV vorgeschriebene grundsätzliche Trennung von Vorsorge und Eignungsuntersuchungen.

Die Vorsorge dient unmittelbar der Beratung der Beschäftigten. Bei der Vorsorge erhalten Arbeitgeber von den Arbeitsmediziner*innen leidglich eine Teilnahmebescheinigung, die dem Nachweis der Durchführung der Vorsorge dient. Nur nach Abstimmung und mit Einverständnis der betroffenen Beschäftigten können ergänzende Hinweise an die Arbeitgeber weitergegeben werden, beispielsweise wenn arbeitgeberseitige Maßnahmen zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit sinnvoll sind.

Bei der Überprüfung, ob ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin für eine bestimmte Tätigkeit geeignet ist, werden hingegen durchaus sensible Informationen zu gesundheitlichen Einschränkungen an den Arbeitgeber übermittelt, die für die Einsatzplanung relevant sind. Auch dies geschieht mit voller Transparenz und in enger Abstimmung mit den Beschäftigten. Dennoch ist der Charakter einer Eignungsuntersuchung grundsätzlich anders.

Die bewusste Abtrennung des Bereichs Vorsorge soll sicherstellen, dass es für Beschäftigte einen geschützten Bereich gibt, auf den der Arbeitgeber wenig Zugriff hat. Nur wenn es einen triftigen betrieblichen Grund gibt, dürfen Vorsorge- und Eignungsuntersuchungen zusammen durchgeführt werden. In solchen Fällen müssen Arbeitsmediziner*innen den Beschäftigten deutlich erklären, was davon der Vorsorge und was der Eignungsüberprüfung dient.

Aufgrund der sinnvollen Trennung vom Thema Vorsorgen, aber auch aufgrund der Komplexität des Themas Eignungsuntersuchungen widmen wir uns dieser Thematik in einem eigenen kommenden Artikel.

Fazit

Für den Bereich der arbeitsmedizinischen Vorsorge gibt es viele Regeln, Richtlinien und Empfehlungen. Auf den ersten Blick mag das für alle Beteiligten manchmal nach Gängelei aussehen. Die Regelungsdichte entspringt aber einem komplexen Interessengeflecht: In der Praxis von Arbeitsmediziner*innen treffen Ansprüche und Rechte von Beschäftigten und Unternehmen aufeinander. Klare Regelungen sorgen dafür, dass Ärztinnen und Ärzte nicht zwischen den Stühlen sitzen müssen.


Quellen und wichtige Dokumente: